Aus fünf mach‘ vier.
Bereits seit einiger Zeit wird sie heiß diskutiert und in manchen europäischen Ländern wird sie – zumindest als Pilotprojekt – schon gelebt: Die 4-Tage-Woche.
SEHO Systems GmbH entwickelt und fertigt mit rund 230 Mitarbeitenden, Lötanlagen und Automatisierungstechnik für die Elektronikindustrie weltweit und zählt technologisch zu den innovativsten Unternehmen der Branche. Jetzt geht SEHO auch einen innovativen Weg zur Verbesserung der Work-Life-Balance der Mitarbeitenden: Als eines der ersten mittelständischen Unternehmen in Unterfranken, will SEHO die 4-Tage-Arbeitswoche im Stammhaus in Kreuzwertheim umsetzen.
Seit 1956 gilt in Deutschland auf einer Basis von 40 Arbeitsstunden die 5-Tage-Woche und wird seither als eine gesetzte Konstante in der deutschen Industrie gesehen. „Das Thema neuer Arbeitsmodelle ist bei uns im Grunde schon seit 2018 in der Diskussion“, erläutert Dipl.-Ing. Markus Walter, geschäftsführender Gesellschafter von SEHO. „Allerdings war die Zeit da noch nicht reif und der Gedanke wurde wieder verworfen. Es gab zu viele Hürden, die es zu überwinden galt.“
Mittlerweile hat sich das Unternehmen, das weltweit agiert, nahezu komplett umstrukturiert. Arbeitsabläufe wurden verbessert, die unternehmensinternen Strukturen wurden angepasst, um flexibel auf Marktanforderungen reagieren zu können und auch in der Führungsebene hat ein Generationenwechsel stattgefunden. Das Gros der Teamleiter ist in den 30ern und nicht zuletzt auch durch den gesellschaftlichen Wandel, hat sich die Sichtweise auf die „Work-Life-Balance“, d.h. das Bemühen, Arbeits- und Privatleben besser miteinander in Einklang zu bringen, verändert.
Mit Beginn der Pandemie 2020 ging es zumindest für die Mitarbeitenden in den kaufmännischen Bereichen schnell in die Richtung neuer Arbeitsmodelle: Innerhalb kürzester Zeit wechselten mehr als 60 Angestellte bei SEHO ins Homeoffice. Dass sich diese mobile und damit auch flexiblere Arbeitsweise bewährt, belegen mittlerweile mehrere wissenschaftliche Studien. Auch bei SEHO kann man die positiven Effekte des mobilen Arbeitens bestätigen. „Unsere Beschäftigten berichten uns aus ihrem Arbeitsalltag das, was wir letztlich auch an den Ergebnissen sehen“, so Moritz Reichert, Leiter Finanzen und Mitglied der Geschäftsleitung bei SEHO. „Die Aufgaben können effektiver erledigt werden, es bleibt mehr Freiraum für die persönlichen Belange und der Arbeitsalltag gestaltet sich beim mobilen Arbeiten insgesamt stressfreier.“ Voraussetzung ist bei einem mobilen Arbeitsmodell natürlich eine große Portion an Vertrauen, das man auf Geschäftsführungsebene den Mitarbeitenden im Homeoffice entgegenbringt, und arbeitnehmerseitig die Motivation, gute Leistungen zu bringen, auch wenn das Arbeitsumfeld entspannter ist. „Während der Pandemie und der gesetzlichen Verpflichtung, Homeoffice zu ermöglichen, haben wir gesehen, dass wir ein tolles und zuverlässiges Team haben. Wir werden deshalb neben den flexiblen Arbeitszeiten, die bei uns schon seit vielen Jahren gelebt werden, auch die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten weiterhin anbieten“, ergänzt Moritz Reichert.
Während die kaufmännischen Abteilungen von modernen Arbeitsformen profitieren können, gestaltet sich das für die Fertigung und die fertigungsnahen Bereiche deutlich schwieriger. Eine Lötmaschine oder ein Automatisierungskonzept kann nun mal nicht von zuhause gebaut werden, sondern erfordert die Anwesenheit im Unternehmen. Beschäftigte in diesen Bereichen sind daher nicht nur weniger flexibel, was ihre persönlichen Belange angeht, sondern gerade bei den aktuellen Benzinpreisen auch finanziell schlechter gestellt als ihre Kolleg:innen aus den kaufmännischen Bereichen.
„Um den Beschäftigten aus den gewerblichen Unternehmensbereichen einen Vorteil zu schaffen, haben wir uns eingehend mit dem Thema der 4-Tage-Woche auseinandergesetzt“, erläutert Larissa Hepp, die bei SEHO für den Personalbereich verantwortlich ist. Neben arbeitsrechtlichen Fragestellungen galt es auch dafür zu sorgen, dass die Personalkostendecke nicht über die Verhältnisse strapaziert wird. In einem Teamprojekt wurde ein Konzept erarbeitet, das ab 1. Mai für eine Testphase von zunächst 3 Monaten bei SEHO an den Start geht. Das neue Arbeitszeitmodell sieht für den Fertigungsbereich eine 4-Tage-Woche vor. Gearbeitet wird dann von Montag bis Donnerstag, Freitag bis Sonntag sind frei. Für kundensensible Bereiche, wie z.B. das Logistikcenter, wird ein Rotationssystem eingeführt, so dass auch freitags Auslieferungen erfolgen können. Die wöchentlich zu leistenden Arbeitsstunden werden für die Beschäftigten reduziert, bei vollem Lohnausgleich.
„Wir denken – und die Erfahrungen aus verschiedenen europäischen Pilotprojekten legen das nahe – dass wir durch diesen Schritt die Produktivität in unserem Unternehmen sogar noch verbessern können“, so Moritz Reichert. „In einigen Sektoren, wie beispielsweise bei den Energiekosten, führt die 4-Tage-Woche letztlich auch zu einer Reduzierung der Kosten.“
Larissa Hepp ergänzt: „Studien haben gezeigt, dass mehr arbeitsfreie Tage die Motivation bei den Beschäftigten steigern, die Gesundheit verbessern und die Mitarbeitenden stärker an das Unternehmen binden. Nicht zuletzt hoffen wir natürlich auch, dass wir unsere Attraktivität als Arbeitgeber in der Region mit modernen Arbeitsmodellen erhöhen können.“
Auch mit Blick auf die klimapolitischen Ziele passt die 4-Tage-Woche in das Unternehmenskonzept von SEHO. Schon jetzt bezieht das Unternehmen Strom zu 100 % aus Wasserkraft und der eigenen Photovoltaikanlage, nicht nur bei den Maschinen, sondern auch in den betrieblichen Prozessen wird auf die Reduzierung von Ressourcen und den Einsatz nachhaltiger Materialien geachtet und Projekte wie beispielsweise „Job-Rad“ werden von SEHO als Arbeitgeber aktiv gefördert. Wenn die Beschäftigten nur an vier Tagen zur Arbeit fahren müssen statt an fünf, entsteht dadurch nicht zuletzt auch ein positiver ökologischer Effekt.
„Nach der 3-monatigen Testphase werden wir alle Aspekte und Erfahrungen gemeinsam diskutieren und Bilanz ziehen. Aber wir gehen positiv an die 4-Tage-Woche ran und sind uns sicher, unseren Mitarbeitenden dadurch mehr Freiräume zu bieten“, so Markus Walter.